Schloss Pöggstall

Pöggstall, September 2023

Das Kulturjuwel, eine ehemalige Wasserburg, stammt aus dem mittleren 13. Jahrhundert und wurde für die Landesausstellung 2017 renoviert. Ausstellungen „Schloss Pöggstall – zwischen Region und Kaiserhof“, Museum für Rechtsgeschichte, Folterkammer, Franz-Traunfellner-Dokumentation.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Um 1480 ließ Caspar von Rogendorf beim Schloss die Sankt-Gilgen-Kirche als Schloss- und Begräbniskirche errichten. In der Reformationszeit diente die zweischiffige spätgotische Hallenkirche mit geradem Chorabschluss als protestantisches Bethaus. 1659 wurde das Gotteshaus in feierlicher Zeremonie der Öffentlichkeit für den katholischen Gottesdienst zugänglich gemacht. Nach Auflassung der Pfarrkirche St. Anna im Felde wurde die Schlosskirche 1810 zur Pfarrkirche erhoben, der hl. Anna geweiht und mit einem neugotischen Turm versehen. Die Kirche birgt bedeutende Werke der Spätgotik: Hochaltar mit bemalten Flügeln und einer Kreuzigungsgruppe im Schrein, Maria mit dem Kind, Figurengruppe „Anna Selbdritt“, Westempore mit Seccomalereien, hölzerne Seitenemporen, Ratsherrenstühle u. a. An der südlichen Außenwand befindet sich ein mächtiges Sankt-Christophorus-Fresko.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Der zweischiffige und dreijochige Hallenraum verfügt über Netzrippengewölbe auf zwei mächtigen Bündelpfeilern über niedrigen Sockeln mit profilierten, spitzbogigen Scheidebögen, die an der Ost- und Westwand konsolartig abgestuft sind. Die gemauerte, netzrippenunterwölbte Empore aus dem Jahr 1480 nimmt das halbe Westjoch ein. Sie ist in vier gleich breiten, auf Achtseitpfeilern ruhenden, profilierten Spitzbogenarkaden zur Halle hin geöffnet. Ihre gemauerte Brüstung ist in quadratische Felder unterteilt und mit bedeutenden Seccomalereien geschmückt. Über dem Mittelpfeiler befindet sich eine profilierte, polygonale Konsole und eine seichte Rechtecknische. Oberhalb der seitlichen Pfeiler liegen ausschwingende Konsolen mit Stabprofil. Die entlang der Seitenwände des Langhauses verlaufenden Holzemporen sind durch Rechteckfelder gegliedert und im Norden mit reichem, unterschiedlich durchbrochenem, geschnitztem Blendmaßwerk und einem gemalten Wappenschild Rogendorf aus dem vierten Viertel des 15. Jahrhunderts versehen. Die Emporen im Süden sind mit stilisierten Pflanzenornamenten und zwei Wappen versehen. In der Mitte der Westwand erhebt sich ein vorspringender Wandpfeiler. Daran ist nördlich oberhalb der Empore ein runder Treppenturm mit Rechteckportal in durchkreuzter Stabrahmung angesetzt.

An der Nordseite führt ein Rechteckportal zur tonnengewölbten Sakristei. Darüber wurden um 1900 drei spitzbogige Oratoriumsfenster mit einer gemeinsamen Sohlbank eingebaut. In einem der südlichen Langhausfenster sind zwei mittelalterliche Glasfenster erhalten, die 1984/1985 restauriert wurden. Die Darstellung der beiden Apostel (rechts ist der hl. Johannes erkennbar) entstand um 1400, die des hl. Wolfgang wurde um 1450 geschaffen.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Der Hochaltar ist ein bemerkenswerter spätgotischer Flügelaltar aus der Zeit um 1490. Er hat einen rechteckigen Schrein mit Rankenschnitzereien Im Schrein befindet sich eine gotische Kreuzigungsgruppe, bestehend aus dem Gekreuzigten, sowie aus Maria und Johannes unter dem Kreuz und drei Engeln, die das Blut des Gekreuzigten auffangen. Diese Kreuzigungsgruppe folgt dem um 1480 entstandenen Kupferstich von Martin Schongauer. Die bemalten Flügel zeigen in geschlossenem Zustand die acht Heiligen Georg, Vitus, Sebastian, Mauritius sowie Florian, Ägidius, Leonhard und Achatius. In geöffnetem Zustand sind vier Szenen der Passion Christi: Christus vor Pilatus, Dornenkrönung, Geißelung und Ecce Homo zu sehen. An der bemalten Predella sind links und rechtes Wappen der Familie Rogendorf zu sehen; auf den Tabernakeltüren außen Maria und Johannes, innen Maria Magdalena und Maria Salome.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Pfarrkirche hl. Anna, vormals Schlosskapelle hl. Ägidius, Einblick nach Westen: Die zweischiffige Hallenkirche mit geradem Ostabschluss wurde um 1480/90 erbaut. Reich profilierte Bündelpfeiler bzw. Konsolen tragen spätgotische Netzrippengewölbe.

Auf der Mittelkonsole der Westempore befindet sich eine Herz-Jesu-Statue vom Anfang des 20. Jahrhunderts; an den Emporenpfeilern die gotischen Statuen des hl. Leopold und des hl. Erzengels Michael (um 1500), unter der Empore die Hll. Antonius Eremita und Wendelin aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

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Die beiden neugotischen Seitenaltäre stellen die „Enthauptung der hl. Barbara‘“ und die „Krönung Mariens“‘ dar. Die rundbogig geschlossenen Bilder (Georg Srna, 1847) sind von Säulen und Fialen flankiert, ein Kielbogen mit eingeblendetem Maßwerk, Krabben und Kreuzblume schließen den Aufbau ab. In den Tabernakeln werden jetzt die Heiligen Öle bzw. ein schönes Kreuzreliquiar (1749) aufbewahrt.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Zur weiteren Ausstattung zählen unter anderem 14 Kreuzwegbilder, das Chorgestühl aus dem Jahr 1492, ein Weihwasserbecken aus dem Jahr 1659, zwei Vortragestangen aus dem 18. Jahrhundert und eine Glocke aus dem 14. Jahrhundert. Die 14 Kreuzwegbilder entstammen der Schule des Kremser Schmidt und werden Johann Georg Wambacher zugeschrieben (um 1780).

 Schloss Pöggstall, September 2023

Der Hochaltar (um 1490) ist ein herrlicher Flügelaltar, der die Passion Christi zum Inhalt hat und besonders die um diese Zeit verbreitete Heilig-Blut-Verehrung betont. Die Kreuzigungsgruppe im Schrein folgt dem um 1480 entstandenen Kupferstich von Martin Schongauer. Die christliche Blutmystik der Engel, die das Blut des Gekreuzigten auffangen, ist in Beziehung gesetzt mit den Weintrauben und -ranken im Schleierbrett. Die Schreinflügel zeigen geöffnet vier Szenen aus der Leidensgeschichte (Jesus vor Pilatus, Dornenkörnung, Geißelung, Pilatus führt Jesus vor das Volk), in geschlossenem Zustand acht männliche Heilige (Vitus, Georg, Mauritius, Sebastian, Ägidius, Florian, Achaz, Leonhard). Auf den Tabernakeltüren sind Maria und Johannes dargestellt, rechts und links davon das Wappen der Rogendorfer.

Links vom Hochaltar befindet sich ein weiteres bedeutendes Kunstwerk aus der Gotik: Maria mit dem Kind, auf der Mondsichel stehend mit kleinen Engeln zu ihren Füßen (um 1480, Abb. S. 13). Beachtenswert sind die Perlenkette im Haar der Gottesmutter und die Korallenkette („Fraisenkette“) des Kindes.
Rechts vom Hochaltar steht auf einem Postament die spätgotische Figurengruppe „Anna Selbdritt“ (hl. Mutter Anna mit der erwachsenen Maria, dazwischen das Jesuskind, um 1480).

 Schloss Pöggstall, September 2023

Die Orgel wurde 1996 von Sebastian Blank neu gebaut. Sie besitzt 2 Manuale (Rückpositiv und Hauptwerk) und Pedal mit insgesamt 20 Registern und wurde 2010 nach Pilzbefall saniert.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Das Weihwasserbecken beim Haupteingang stammt aus dem Jahr 1659.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Schloss Rogendorf in Pöggstall blickt auf eine etwa 750-jährige Geschichte mit wechselnden Besitzern zurück. Ebenso lange wird an der Anlage schon gebaut - zuletzt erfolgte eine Adaptierung im Vorfeld der Niederösterreichischen Landesausstellung 2017. Vom Bergfried, dem ältesten Teil, bis hin zum Lifteinbau der Gegenwart entspricht jede Umgestaltung einem veränderten Nutzungskonzept für das Gebäude. Vor den jüngsten Bauarbeiten wurde die vielschichtige Geschichte des Schlosses erstmals wissenschaftlich bearbeitet. Die Ausstellung gibt einerseits einen Überblick über die sich wandelnden Vorstellungen der Pöggstaller Schlossherren von zeitgemäßem und repräsentativem Wohnen. Sie veranschaulicht jene Bauphasen, die am nachhaltigsten zur Entwicklung des heutigen Ensembles beigetragen haben. Andererseits wird ein Blick über die Schultern der an der Dokumentation beteiligten Fachleute geworfen. Ob Bauforschung und Geschichtswissenschaft, Kunstgeschichte und Archäologie, Konservierung und Restaurierung: Methoden und Arbeitsfelder verschiedener Disziplinen werden ebenso vorgestellt wie die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Restaurierung eines kulturhistorisch bedeutenden Baudenkmals.

 Schloss Pöggstall, September 2023

"Schloss Pöggstall - zwischen Region und Kaiserhof'
Diese Ausstellung widmet sich in der Barbakane (Rondell) den sensationellen Erkenntnissen, die bei der Generalsanierung im Zuge der NÖ Landesausstellung 2017 zu Tage traten - die gesamte neu entdeckte Baugeschichte - von Anbeginn des Baus bis hin zu den Um- und Ausbauten der jeweiligen Besitzer.

Schloss Pöggstall ist 750 Jahre alt. Das Schloss hat in dieser Zeit verschiedenen Familien gehört. Die Familien haben das Schloss immer wieder umgebaut und anders genutzt. In dieser Sonder-Ausstellung finden Sie Antworten auf die Fragen: Wem hat das Schloss gehört? Wann hat man die einzelnen Schloss-Teile gebaut und umgebaut? Wofür hat man das Schloss genutzt? Wie untersucht man die Geschichte von Gebäuden?

Die Niederösterreichische Landes-Ausstellung im Jahr 2017 ist eine gute Gelegenheit für die Erforschung von Schloss Pöggstall gewesen. Denn dafür hat man die Gebäude renovieren müssen. Dabei haben Wissenschaftler aus mehreren Fach-Bereichen die Gebäude genau untersucht. So haben sie herausgefunden, wie sich das Schloss im Lauf der Zeit verändert hat. In dieser Sonder-Ausstellung können Sie auch sehen, wie Expertinnen und Experten für Bau-Forschung, Geschichte und Kunst-Geschichte arbeiten. Außerdem erfahren Sie, was man alles beachten muss, wenn man wertvolle alte Gebäude renoviert.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Andachtsbild Kaspars von Rogendorf (Trinitarische Marienkrönung)
Tempera auf Holz, 1493 (Reproduktion) Rosenburg, Renaissanceschloss Rosenburg
Kaspar von Rogendorf kniet mit seiner ersten Frau Margarete von Wildhaus (gest. 1492) und den gemeinsamen Kindern im Gebet vor der Gottesmutter. Diese wird von den drei Personen Gottes - Vater, Sohn und Heiliger Geist, als männliche Figuren wiedergegeben - gekrönt. Von den fünf abgebildeten Söhnen Kaspars überlebten nur drei den Vater um mehr als ein Jahr. Dessen prunkvoller Harnisch erinnert an ein ähnliches Exemplar für Kaiser Maximilian I. Ursprünglich befand sich das Tafelbild auf der Empore der Pöggstaller Schlosskapelle. 1869 gelangte es über Umwege auf die Rosenburg.

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Porträts der Brüder Wolfgang (links) und Georg von Rogendorf (rechts)
Kopien zweier 1540 bzw. 1541 datierter Tafelbilder, Tempera auf Holz, 2. Hälfte 16. Jh. (Reproduktion) Eferding, Schloss Starhemberg
Einer oberösterreichischen Sammlung entstammen die Kopien zweier großformatiger, offenbar als Gegenstücke entstandener Porträts der Brüder Wolfgang und Georg. Sie sind mit 1540 bzw. 1541 datiert. Mit den auf den Rahmeninschriften angeführten Lebensdaten der Dargestellten ist das allerdings nicht vereinbar - zudem starb Georg in der ersten Jahreshälfte 1537.

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Porträtbüste Georgs von Rogendorf
Nachbildung, 2017; Original: Sandstein, verloren, 1536 (R) Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H.
Eine Sandsteinbüste Georgs von 1536 ging um 1995 bei Umbauten des Mährischen Landesmuseums in Brünn verloren. Dorthin war sie vermutlich über die Herrschaft Raitz/Rajec gekommen, die im 17. Jahrhundert an die Rogendorfer gelangte. Einem Foto aus den 1990ern zufolge wies die Büste Schäden im Gesicht auf. Sie wurde auf Grundlage des Porträts von Georg rekonstruiert.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Die älteste Urkunde, die einst im Archiv des Schlosses Pöggstall aufbewahrt wurde, stammte vom 8. September 1255. Ausgestellt hatte sie Přemysl Otakar II., König von Böhmen, der auch als österreichischer Landesfürst regierte. Die Urkunde dürfte die Belehnung der Landherrenfamilie der Maissauer mit den Herrschaften Pöggstall, Horn, Staatz und Ottenschlag zum Inhalt gehabt haben. Otto von Maissau zählte von etwa 1251 bis zu seiner Entmachtung 1265 zu den politisch einflussreichsten Adeligen Österreichs. Unmittelbar nach dem Erwerb der Herrschaft scheint er mit der Errichtung einer neuen Burg in Pöggstall begonnen zu haben.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Die ältesten Bauteile der Pöggstaller Burg sind im Bereich des oberen Burghofes erhalten - wie etwa der romanische Bergfried, der ursprünglich nur durch einen Hocheingang im 1. Obergeschoß zugänglich war. Noch heute führt die in der Außenmauer gelegene Stiege bis in das abschließende Zinnengeschoß. Als zusätzliches Wehrelement besaß der Bergfried einen hölzernen Außenwehrgang, der aber bereits im 15. Jahrhundert abgetragen wurde. Die spätromanische Mantelmauer ist nur mehr an der Ostseite mit vermauerten Zinnen und somit in originaler Höhe vorhanden. Im Zuge barocker Bautätigkeit wurde der südliche Teil der Mantelmauer mit dem spätromanischen Burgtor entfernt, um einen größeren Hof zu schaffen.

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Bald nach 1300 nahm eine Vergrößerung der Burg nach Süden ihren Ausgang. In zumindest zwei Bauphasen wurde die umbaute Grundfläche nahezu verdoppelt. Das neue Areal war von einer hohen Ringmauer umschlossen. An der West- und Südseite entstanden Wohnbauten, an der Ostseite lag vermutlich die Burgküche. In der südöstlichen Ecke wurde erst nachträglich ein mächtiger Torturm hochgezogen. Zeitgleich mit der Burg wuchs auch der Ort, der bald nach 1400 als Markt bezeichnet wurde. Pöggstall bildete das Zentrum eines ausgedehnten Landgerichtsbezirks. Aus dem späten 14. Jahrhundert sind auch die Namen jener Funktionsträger überliefert, die im Burgareal im Namen der Herrschaft Recht sprachen.

Bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts galt das Interesse der Maissauer vor allem dem Horner Becken als der Basis ihrer Besitzungen. Nach dem Aussterben der Dürnsteiner Kuenringer nahmen sie deren Machtposition in der Wachau ein. Vielleicht aufgrund dieser Neuorientierung gewannen auch die maissauischen Herrschaften im Südlichen Waldviertel neue Bedeutung vor allem Pöggstall. Offenbar machten von da an Angehörige der Familie, etwa Konrad von Maissau (gest. 1396) und später sein Sohn Otto (IV., gest. 1440), Pöggstall zu ihrem persönlichen Wohnsitz. Die Komfortansprüche der Burgherren erforderten nun einen zeitgemäßen Ausbau der Burganlage.

Kaspar von Rogendorf war es ein großes Anliegen, seinen Herrschaftssitz der Weiterentwicklung von Belagerungsgeschützen anzupassen. Er ließ Erdwerke anlegen und an der Westseite einen Portalturm errichten, von dem aus diese über eine Brücke zugänglich waren. Zudem investierte er in die repräsentative bauliche Ausgestaltung der Burg. So entstand etwa im Westtrakt eine Halle mit Netzrippengewölbe. Östlich der Burg ließ er eine monumentale Schlosskapelle - die heutige Pfarrkirche - errichten, die das hohe Selbstbewusstsein und den Wohlstand des Bauherrn verdeutlicht.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Schon 50 Jahre nach dem Bau war die Burg zu klein. Die Besitzer haben die Burg mindestens 2 Mal umgebaut und vergrößert. Auch der Ort Pöggstall ist gewachsen und wichtiger geworden. Dann ist Pöggstall sogar das Zentrum von einem großen Land-Gerichts-Bezirk geworden. Das heißt: Dort haben Gerichts-Verhandlungen stattgefunden. Nach den Umbauten war die Burg etwa doppelt so groß wie vorher. Eine hohe Mauer hat die neue Anlage vor Feinden geschützt. Direkt an der Mauer hat es Wohn-Bauten gegeben, und wahrscheinlich war im Osten die Burg-Küche. Auch der Tor-Turm war neu. Über das Land-Gericht sind genaue Unterlagen erhalten geblieben. Darin stehen die Namen der Männer, die als Richter tätig waren. Die Männer haben als Vertreter der Herrscher entschieden, ob jemand ein Verbrechen begangen hat oder nicht. Die Männer haben auch entschieden, wie ein Verbrecher bestraft werden sollte.

Wie die archäologischen Untersuchungen ergaben, wurde der romanischen Burg um 1300 ein gotischer Zwinger vorgelagert. Dieses offene, von Mauern begrenzte Areal sollte die Wehrhaftigkeit erhöhen. Im weiteren Verlauf entstand eine aufwendige Vorburg mit zeitgemäßen Wohngebäuden, die das gestiegene Interesse der Maissauer an ihrem Herrschaftssitz belegen. In dieses Ensemble wurde nachträglich ein mächtiger Torturm eingestellt, dessen Obergeschoße im späten 19. Jahrhundert abgetragen wurden. Reste seines gotischen Mauerwerks liegen im Dachraum des Südtraktes frei.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Zur Baugeschichte von Schloss Pöggstall - Arkadenhof
Unter Wilhelm von Rogendorf entstand um 1530/40 der ehemals vierflügelige zweigeschoßige Arkadengang im Bereich des unteren Burghofes. Er wird über einen Wendeltreppenturm mit reich gestaltetem Renaissanceportal erschlossen. Im Auftrag seines Sohnes Christoph entstanden 1546 die qualitätsvollen Malereien Pietro Ferraboscos, die in den 1990ern freigelegt wurden. Sie imitieren eine in verschiedenfarbigem Steinmaterial gefertigte und mit figuralem sowie vegetabilem Dekor besetzte noble Renaissancefassade.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Der aus der Steiermark stammende Kaspar von Rogendorf (gest. 1506) diente Kaiser Friedrich III. als Söldnerführer und Rat. Zuletzt bekleidete er als Küchenmeister an dessen Hof ein prestigeträchtiges Amt. Unter Maximilian I. gehörte er zu den führenden Finanzfachleuten der österreichischen Zentralverwaltung. Im Südlichen Waldviertel schuf Kaspar einen dichten Besitzkomplex. Schloss Pöggstall, 1478 erworben, ließ er zu einer modernen Residenz zwischen Region und Kaiserhof umgestalten. Mit seinem Sohn Wilhelm (gest. 1541) setzte sich der Aufstieg der Familie fort: Er wurde erster Obersthofmeister Ferdinands I. und einer der engsten Ratgeber des Hauses Habsburg. Eindrücke aus den kulturellen Zentren der Niederlande und Oberitaliens, die er als kaiserlicher Statthalter und Oberstfeldhauptmann kennengelernt hatte, flossen in den Pöggstaller Bau ein. Wilhelms Sohn Christoph, der 1537 zum Reichsgrafen erhoben wurde, pflog einen luxuriösen Lebensstil. Dieser endete mit einem Bankrott und der skandalumwitterten Desertion in das Osmanische Reich 1546. Die Rogendorfer waren nicht nur für etwa 120 Jahre Inhaber der Herrschaft Pöggstall, sie übertrugen auch ihren Namen auf das Schloss, das sein heutiges Erscheinungsbild weitgehend ihnen verdankt.

Im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts stellte ein Besitzerwechsel die Weichen für eine weitreichende Umgestaltung, die sich über 60 Jahre erstreckte. Drei Generationen der neuen Inhaberfamilie betätigten sich als Bauherren. Ihre Erfahrungen aus dem habsburgischen Kriegsdienst flossen in eine Neukonzeption des Befestigungs- und Verteidigungssystems der alten Burganlage ein. Auch die Wohnbauten wurden mehrfach neu gestaltet, um den Vorstellungen der weltläufigen und kunstbegeisterten Besitzer zu entsprechen. Aus der mittelalterlichen Burg Pöggstall wurde so ein spätmittelalterliches Burgschloss und schließlich ein Renaissanceschloss, bei dem die tatsächliche Wehrhaftigkeit kaum mehr eine Rolle spielte. Fürstliche Anlagen dieser Zeit wirkten offenkundig inspirierend: Standen anderswo auf dem flachen Land Profan-, Wirtschafts- und Sakralgebäude kaum verbunden nebeneinander, verdichtete sich die Pöggstaller Anlage nun zu einer eindrucksvollen geschlossenen Residenz. Schloss „Rogendorf in Pöggstall", wie es nach den Inhabern genannt wurde, bildete das Zentrum des gleichnamigen Marktes und stellte um 1550 ein weitum einzigartiges Beispiel modernster Herrschaftsarchitektur dar.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Im Jahr 1478 hat die Familie Rogendorf das Schloss Pöggstall gekauft. Der neue Besitzer war Kaspar von Rogendorf. Kaspar, seine Söhne und seine Enkel haben das Schloss ganz neu gestaltet. Sie haben aus der Mittelalter-Burg ein prachtvolles Schloss gemacht. Schloss Pöggstall hat gar nicht wie ein normales Schloss auf dem Land gewirkt. Es hat mehr wie ein teures Schloss in einer modernen Hauptstadt ausgesehen.

Die Familie Rogendorf stammt aus der Steiermark. Kaspar von Rogendorf hat für den Kaiser gearbeitet. Im südlichen Waldviertel hat ihm viel Land gehört. Im Jahr 1478 hat er Schloss Pöggstall gekauft. Seit damals heißt das Schloss auch Schloss Rogendorf. Das Schloss hat der Familie Rogendorf etwa 130 Jahre lang gehört Kaspar von Rogendorf hat Schloss Pöggstall zum Familien-Wohnsitz gemacht. Sein Sohn Wilhelm von Rogendorf war der Vertreter des Kaisers in den Niederlanden und in Italien. Dort hat er fremde Kulturen kennen gelernt. Wilhelm hat Kunst und Kultur nach Schloss Pöggstall gebracht. Nach Wilhelm hat sein Sohn Christoph das Schloss geerbt. Er hat vom Kaiser sogar den Titel Reichs-Graf erhalten. Christoph hat zu viel Geld ausgegeben und ist pleite gegangen. Dann ist er in die Türkei geflüchtet. Schloss Pöggstall hat aber weiter der Familie Rogendorf gehört. Erst nach dem Jahr 1600 hat die Familie das Schloss verkauft.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Die Malereien des Arkadenhofes von Schloss Pöggstall wurden im Rahmen einer Lehrrestaurierung durch das Bundesdenkmalamt freigelegt. Fünf in- und ausländische Universitäten waren daran beteiligt. Dadurch konnten das Wissen, die Technik und das Handwerk an die Forscher und Restauratoren von morgen weitergegeben werden. Das Bundesdenkmalamt kommt hier mit seiner Fachabteilung für Restaurierung und Konservierung sowie dem dazugehörigen naturwissenschaftlichen Labor auch der Vermittlung und Weiterbildung nach - neben seiner Aufgabe, das kulturelle Erbe zu erforschen, zu schützen und zu pflegen.

Wilhelm trat in die Fußstapfen seines baufreudigen Vaters Kaspar. Auf ihn gehen die Malereien in einem spätgotischen Festsaal zurück, deren Reste im Dachraum des Südtraktes freiliegen. In einer weiteren Bauphase entstanden ab den 1530er-Jahren die Arkadengänge des großen Burghofes. Sie wurden über einen neuen Wendeltreppenturm mit aufwendig gestaltetem Renaissanceportal erschlossen. Herausragende Visitenkarte von Wilhelms Bautätigkeit ist das italienischen Vorbildern folgende große Rondell (Barbakane), das vermutlich auch auf Anregungen Albrecht Dürers zurückging. Der repräsentativ-funktionelle Wehrbau wurde 1548 erstmals als „newe passtey" genannt und diente auch als Stall für die edlen Rösser des Feldherrn.

Graf Christoph strebte nach architektonischer Innovation und Repräsentation. Für die Umsetzung sorgten namhafte italienische Künstler und Handwerker. Obwohl die Last der Schulden immer größer wurde, ließ Christoph die von seinem Vater Wilhelm begonnenen Bauprojekte fertigstellen, zahlreiche bauliche Adaptierungen ausführen und die Fassaden des Schlosses neu gestalten. Seine bedeutendste Hinterlassenschaft stellt jedoch die 1546 erfolgte malerische Ausgestaltung des Arkadenhofes dar, die von bemerkenswerter Qualität ist. Sie schuf der auch am königlichen Hof tätige Meister Pietro Ferrabosco.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Die Rogendorfer räumten Kunst und Architektur einen hohen Rang ein - darin brachten sie nicht zuletzt ihre Stellung zum Ausdruck. So ließ Kaspar die an Sakralbauten Kaiser Friedrichs III. orientierte Kapelle mit modernen Altar- und anderen Bildern ausstatten. Sein Sohn Wilhelm hielt mit Künstlern wie Albrecht Dürer Kontakt. Die Brüder Wolfgang und Georg wiederum gaben mehrere Porträts in Auftrag. Zudem setzten sie der Familie mit den nahen Schlössern Ottenschlag und Mollenburg weitere Denkmäler. In den 1520ern entstand in Pöggstall eine Sammlung vom damals innovativen Typ der fürstlichen Kunst- und Wunderkammer. Die Kunstpatronage der Rogendorfer hatte somit weit überregionales, europäisch-höfisches Format.

Bald nach 1610 wechselte Pöggstall neuerlich seinen Besitzer. Eine Generalsanierung des Schlosses folgte. Dabei wurde die Außenmauer des Rondells erhöht und an der Südwestecke ein neuer Baukörper errichtet. Dieser verband die dem Markt zugewandte südliche Schauseite mit dem westseitigen Torbau aus dem späten 15. Jahrhundert. Durch eine einheitliche Sgraffito-Gliederung wurden die Außenfassaden zusammengefasst. Auch im Inneren setzte man neue Akzente, etwa durch eine moderne Stuckdecke, die nun den Kaisersaal so sein heutiger Name schmückte. Mehrere Bestattungen von Familienmitgliedern in der Gruft der Schlosskapelle unterstreichen die starke persönliche Bindung der neuen Inhaber an ihr Schloss.

1601 trennten sich die Rogendorfer von ihrem ältesten Besitz in Niederösterreich. Über Umwege gelangte Pöggstall 1610 als gleichsam mündelsichere Anlage an die teils minderjährigen Erben Joachims von Sinzendorf. Im Gegensatz zu den politisch hochaktiven Angehörigen anderer Zweige ihrer Familie waren die neuen Inhaber von Pöggstall wenig karrierebewusst. Sie engagierten sich lieber abseits des Hofes in der Ausgestaltung ihres ländlichen Sitzes Pöggstall. Schon bald nach dem Erwerb wurden nachhaltige Adaptierungsmaßnahmen gesetzt. Die Sinzendorfer Herrschaft über Pöggstall endete Mitte des 18. Jahrhunderts. Wieder einmal führte ein Bankrott dazu, dass der Besitz in andere Hände überging.

Die baulichen Maßnahmen, die unter den Sinzendorfern erfolgten, hatten die Modernisierung und Monumentalisierung der Anlage zum Ziel. Durch Aufstockung des südwestlichen Baukörpers konnte eine repräsentative Südfassade mit neuer Sgraffitogliederung geschaffen werden, die ein mächtiges Dachwerk abschloss. Denselben Intentionen dienten auch die Erhöhung des großen Rondells durch Übermauerung des renaissancezeitlichen Zinnenkranzes und dessen Neufassadierung. Neben den repräsentativen Fassaden belegt die mondän gestaltete Stuckdecke des neuen Festsaales das künstlerische Selbstverständnis der neuen Herrschaftsinhaber.

 Schloss Pöggstall, September 2023

1795 erwarben die Habsburger die Herrschaft. Sie ließen schadhafte Dachwerke reparieren und die Wirtschaftsgebäude im nördlichen Schlosshof ausbauen. Baupläne von 1812 geben Aufschluss darüber, dass Kaiser Franz I. die Räume des Südtrakts als Appartement nutzte. Zum ersten Mal wurde das Gebäude nun Gegenstand historischer Betrachtung durch seine Inhaber. Zur selben Zeit errichtete das Kaiserhaus in Laxenburg einen romantischen Burgenneubau, in dem spätgotische Holzteile aus Pöggstall verbaut wurden - „anonym", also ohne Verweis auf ihre Herkunft. In Pöggstall dagegen erinnerte man bewusst an die Rogendorfer: etwa in Form einer Sonnenuhr, in der die Wortdevise - der Wahlspruch -Graf Christophs Platz fand.

Als die Habsburger 1795 das Schloss erwarben, befand es sich in schlechtem baulichen Zustand. Zwei Jahrzehnte dauerte die Generalsanierung, welche die Instandsetzung von Dachwerken, die umfangreiche Schaffung und Adaptierung von Wohnraum sowie die Neufassadierung der gesamten Anlage umfasste. In Erinnerung an die Rogendorfer wurden zudem spätgotische Werksteine aus dem Südtrakt - wie etwa die Portale im großen Rondell - hier wiederverwendet. Die zur Pfarrkirche erhobene Schlosskapelle erhielt um 1800/10 ihren heutigen in gotischen Formen erbauten Glockenturm.

1795 erwarb die k.k. Familiengüterdirektion Pöggstall als Teil eines ausgedehnten Herrschaftskomplexes im Südlichen Waldviertel, den Joseph Edler von Fürnberg aufgebaut hatte. Man erhoffte sich gute Geschäfte mit Bau- und Brennholz in Wien - eine Idee, die aber nicht realisiert wurde. Im Schloss inszenierte man den Bergfried im Sinn der Romantik als „mittelalterliche" Folterkammer - sie fand im gleichzeitig erbauten Verlies der Laxenburger Franzensburg ein unmittelbares Gegenstück. Die Einrichtung der Folterkammer folgte jedoch pedantisch einem damals noch eher modernen Vorbild: den Abbildungen in der Strafprozessordnung Maria Theresias von 1768.

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Franz Traunfellner Dokumentation - Leben und Werk des bedeutenden Künstlers stehen im Mittelpunkt der Dokumentation.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Franz Traunfellner (1913-1986) war ein Maler und Grafiker, dessen Atelier sich in Gerersdorf bei Pöggstall befand. Die Franz Traunfellner Dokumentation hat in vier Räumen des Schlosses Pöggstall einen würdigen Rahmen gefunden und präsentiert in ansprechendem Ambiente, gestaltet von Designerin Doris Zichtl, sowohl Druckgrafiken als auch Gemälde. Sie folgt einem wohldurchdachten Ausstellungskonzept, das auch Aufschluss über die Technik der Druckgrafik gibt. Werkzeuge, eine Tiefdruckpresse und eine Lithopresse sowie ein Kurzfilm und Fotos erlauben Einblick in das Umfeld, in dem Traunfellner gelebt hat.

Franz Traunfellner lebte auf einem kleinen Bauernhof in Gerersdorf bei Pöggstall. Als Maler und Holzschneider Autodidakt, erlernte er die Radiertechniken bei Professor Kromar von Hohenwolf (Melk) und die Lithographie als Gastschüler der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien. Ab 1963 lebte er als freischaffender Künstler.
Mitglied der Gesellschaft Bildender Künstler (Künstlerhaus) Wien, des Kunstvereines Salzburg und anderer namhafter Kunstvereine. Werke unter anderem im Besitz der Albertina Wien, der Österreichischen Galerie Belvedere sowie in in- und ausländischen Sammlungen. Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland, Publikationen in Büchern, Rundfunk und Fernsehen. Studienreisen in mehrere europäische Länder. Verschiedene Ehrungen, darunter erster Kulturpreis des Landes Niederösterreich 1960, Berufstitel Professor, Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, Goldener Lorbeer des Künstlerhauses Wien.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Traunfellners Werk umfasst Zeichnungen, Aquarelle und Ölbilder, vor allem aber Grafiken in den verschiedensten Techniken, wo vor allem Holzschnitt und Holzstich besonders zu erwähnen sind. Mensch, Tier und Natur, meist aus seiner näheren Umgebung, sind seine bevorzugten Motive. Wenn Traunfellner der Landschaft als Maler und Holzschneider antwortet, so dokumentiert er damit ihr Sinnbildhaftes, ihre Melodik, ihre Schönheit und Kraft.

 Schloss Pöggstall, September 2023

"Die Geschichte der Rechtsprechung mit Folterkammer"
Das "Museum für Rechtsgeschichte" lädt seine BesucherInnen mit einem neuen wissenschaftlichen Konzept zur Vermittlung zum Thema Rechtsprechung ein.

Die 1532 erlassene „Constitutio Criminalis Carolina" enthält einen Katalog von Leibesstrafen, die nicht zum Tod führen sollten. Neben dem Ausstreichen mit Ruten sind Verstümmelungen angeführt: Abschneiden der Zunge und der Ohren, Abtrennen von zwei Fingern der rechten Hand. Zu den Leibesstrafen zählten hier außerdem öffentliche Arbeit und der Verweis des „Leibes" von einem bestimmten Ort oder des Landes. Als öffentliche Arbeiten galten die „Wartung der Kranken" im Spital, das Kehren der Gassen, Schanz- und Zuchthausarbeit. Verstümmeln wurde nur mehr als Strafverschärfung vor einer Hinrichtung empfohlen. Die - stets in der Öffentlichkeit vollzogene - Prügelstrafe konnte allein oder als Verschärfung einer Haftstrafe sowie einer öffentlichen Arbeit verhängt werden. Das Josephinische Strafgesetz setzte die Höchstzahl der Schläge mit 100 fest.

Prügelbank, Preßburg, 18. Jh.
Prügelstrafen kamen sowohl bei Verurteilungen wegen Verbrechen als auch bei Übertretungen zur Anwendung. Außerdem dienten die „Stock-, Karbatsch- und Ruthenstreiche" dazu, Freiheitsstrafen zu verschärfen. Bis 1848 praktizierte man Prügelstrafen, ehe sie kurzfristig abgeschafft und dann wieder eingeführt wurden. 1867 verschwanden sie endgültig aus dem Strafkatalog.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Zange zum glühenden Zwicken, 18. Jh.
Jenen, die sich einer besonders schändlichen Tat schuldig gemacht hatten, drohten vor der Hinrichtung noch Strafverschärfungen: Man schleifte sie zur Richtstatt, schnitt ihnen Riemen aus der Haut, riss ihnen die Zunge heraus oder zwickte sie mit glühenden Zangen.

Zange zum Herausreißen der Zunge, Schlesien, 17. Jh.
Noch die „Constitutio Criminalis Theresiana" sah als strafverschärfende Maßnahme vor einer Hinrichtung das Herausreißen der Zunge vor. Im fünften Artikel heißt es unter § 3: „Bey diesen Todesstraffen kann nach Maß der unterwaltend schwereren Umständen die Pein noch weiters [...] durch Zungenabschneid [...] vermehret" werden.

Zange zum glühenden Zwicken, Scheibbs, 18. Jh.
Der Letzte, der vor der Hinrichtung noch mit glühenden Zangen gezwickt wurde, war Franz von Zahlheim. Für einen „höchst abscheulichen Meuchelmord" wurde der adelige Beamte 1786 in Wien durch Rädern hingerichtet - und das, obwohl die Todesstrafe zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschafft war. Im Urteil heißt es: „auf den hohen Wagen gesetzet, und ihm in die rechte Brust ein Zwick mit glühenden Zangen, sodann auf der Freiung eben ein gleicher Zwick in die linke Brust gegeben".

 Schloss Pöggstall, September 2023

LEBENSSTRAFEN
Die Todesstrafen im Mittelalter standen aus heutiger Sicht in keinem Verhältnis zur Schwere des Deliktes: So wurde etwa Diebstahl mit dem Tod geahndet. In der Frühen Neuzeit reduzierte man die Vollzugsmethoden auf Feuer, Rad, Schwert und Galgen. Bis dahin noch mögliche Strafen wie das Einmauern bei lebendigem Leib wurden aus dem Strafkatalog gestrichen. Allerdings hatte man diese Strafen auch zuvor nur selten verhängt. Nach Maria Theresia waren nur mehr Hinrichtungen durch den Strang üblich. Bis 1873 fanden sie in der Öffentlichkeit statt. 1919 wurde in Österreich die Todesstrafe im ordentlichen Verfahren aufgehoben und durch lebenslangen schweren Kerker ersetzt. 1933 wieder eingeführt, erfolgte 1950 ihre Abschaffung im ordentlichen Verfahren. Im Verfassungsgesetz von 1968 verschwand sie mit dem Verbot von Ausnahmegerichten aus der Gesetzgebung.

Richtschwert, 17. Jh. (?)
Die Klinge ist reich mit Barockornamentik und symbolischen Darstellungen geschmückt: Auf einer Seite finden sich ein Richtrad und ein Spruch, der durch häufiges Schleifen teils unleserlich ist:,,[...] Das Schwert füer Ich in meiner Handt, Der Justitia Ich es gebrauch [...]". Die andere Seite zeigt den Spruch,,Ein Unrechtes Und Gestolnes Gut niemals Erspriessen tuet", darüber einen Galgen, dann den Spruch: „Wer findt, ehe das der eine verliert, der Stirbt, Ehe das Er Kranck Wirt."

Richtschwert des Jacob Beyer, 1737
Die Klinge zeigt in vergoldeter Ätzung auf einer Seite den Spruch: „Wann dem Armen sünder wirdt Abgesprochen Dass leben, so wirdt Er Mir unter meine handt gegeben". Darunter finden sich der Name Jacob Beyer, die Jahreszahl 1737 und die Darstellung eines Bischofs. Auf der anderen Seite ist zu lesen: „Hier Stehe ich, hoffe nebst godt zu Richten Recht, Jesu Christe Du bist Richter und Ich der Knecht", darüber wieder der Name, die Jahreszahl und eine Darstellung des heiligen Georg.

Richtschwert, 17. Jh.
Die Ätzung der Klinge weist typische Ornamentformen der Spätrenaissance auf. Auf einer Seite findet sich der Spruch: „Wan ich dhue das Schwert aufheben, so geb Got dem Sünder das ewige Leben". Die andere Seite zeigt unter der Zeichnung eines Richtrads und Galgens den Spruch: „Et verbum caro factum est." Am verlaufenden Ende der Blutrinne sind in Kupfer der Reichsapfel und ein stehender Löwe eingelegt. Die Klingenschmiedemarke stellt eine Biene dar.

 Schloss Pöggstall, September 2023

FOLTERWERKZEUG
Schon die „Constitutio Criminalis Carolina" (1532) und die „Peinliche Halsgerichtsordnung" Kaiser Ferdinands III. (1656) regelten den Ablauf der Folter und die anzuwendenden Geräte bis ins Detail. Damit wollte man der Willkür einzelner Scharfrichter und der Landgerichte vorbeugen. Der Richter hatte zu kontrollieren, ob die vom Scharfrichter verwendeten Werkzeuge auch rechtens seien. Die 1768 erschienene „Constitutio Criminalis Theresiana" ergänzte den Wortlaut um präzise bildliche Darstellungen. Detailgetreu sind die in Wien und Prag anzuwendenden Peinigungsarten sowie die hierfür verwendeten Gerätschaften mittels Bildern illustriert. Unterschieden wurden drei Grade der Tortur: der Daumenstock (erster Grad), die Schnürung (zweiter Grad) und das Aufziehen (dritter Grad). Die Beinschraube war nur gelegentlich anzuwenden.

Beinschraube (Spanischer Stiefel), 17. oder 18. Jh.
Zwar waren der „Constitutio Criminalis Theresiana" Kupferstiche mit der Darstellung der Beinschraube beigegeben. Sie stellte allerdings keinen eigenen Grad der Tortur dar, sondern sollte nur als Ersatz für ein anderes Martergerät dienen. Wie viele Rechtsvorgänge fand diese Art der Folter Eingang in die Umgangssprache, und zwar in der Redewendung „die Wadln viererichten“: Hierzulande heißt das nichts anderes, als jemanden zur Vernunft zu bringen.

Daumen- und Fingerschrauben, 17. und 18. Jh.
Laut „Constitutio Criminalis Theresiana" bestand im Anlegen der Daumenschrauben mit und ohne Anschlagen die erste Stufe der Folter. Bei der im § 9 beschriebenen „Territion" (Androhung der Folter) zeigte der Scharfrichter dem Delinquenten die Daumenschrauben zur Abschreckung. „Jemandem die Daumenschrauben anlegen" ist noch heute eine gebräuchliche Phrase, um auszudrücken, dass eine Person auf unangenehme Art unter Druck gesetzt wird.

 Schloss Pöggstall, September 2023

DIE GESCHICHTE DER FOLTER
Im Spätmittelalter begann die Obrigkeit, Straftaten aus eigenem Antrieb zu verfolgen. Wurde der Täter nicht auf frischer Tat ertappt, benötigte der Richter nun im Inquisitionsprozess für die Verurteilung ein Geständnis. Lag kein solches vor, versuchte man, es durch Androhung oder Anwendung von Folter zu erzwingen. Vom 16. Jahrhundert an enthielten die gedruckten Strafgesetzbücher Artikel, die den Einsatz der Folter und ihre Durchführung regelten. Die Tortur konnte bis zu drei Mal in verschiedenen Härtegraden - wiederholt werden. 1776 hob Kaiserin Maria Theresia die Folter de facto auf. Österreich war damit nach Preußen (1756) der zweite Staat in Europa, der auf die Folter verzichtete.

Mundbirnen
In den diversen Anleitungen zur Durchführung der Folter fanden die Mund-, Graus- oder Folterbirnen keine Erwähnung als Folterinstrumente. Sie dienten dazu, das Schreien während der Folter zu verhindern. Den aus mehreren löffelförmigen Schalen beweglich zusammengesetzten Körper steckte man der verdächtigen Person in den Mund und schraubte ihn dann auf. Mundbirnen kamen im 18. Jahrhundert auch in der Psychiatrie zum Einsatz, um die Patienten am Sprechen zu hindern.

Mundbirne mit Halsring
Nach Abschaffung der Folter 1776 blieb die Mundbirne im Strafvollzug weiter in Gebrauch. Schreienden und tobenden Gefangenen wurde sie als Zwangsmittel angelegt. Erst mit einem Erlass des Justizministeriums vom 3. November 1896 wurde die Verwendung der Mundbirne endgültig abgeschafft.

 Schloss Pöggstall, September 2023

SCHARFRICHTER - EIN HANDWERK
Was die Rolle des Scharfrichters oder „Freimannes" betraf, war die Gesellschaft gespalten: Zwar benötigte sie seine Dienste, doch seine Tätigkeit machte ihn zum Außenseiter. Er und seine Familie galten als „Ehrlose" und waren bis zur Zeit Maria Theresias aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Da seine Söhne kein Handwerk erlernen durften, traten viele in die väterlichen Fußstapfen. So entstanden Dynastien von Scharfrichtern. Wie Handwerker erlernten sie ihren Beruf, führten Buch und stellten Rechnungen aus. Die Aufgaben des Freimannes waren vielfältig: An den Verdächtigen vollzog er die Folter, die Verurteilten musste er gemäß Urteil abstrafen, die Selbstmörder bestatten - ihnen blieb ja ein kirchliches Begräbnis verwehrt. In manchen Herrschaften lagen auch das Reinigen der Kloaken sowie die Verwertung und Entsorgung der Tierkadaver in seiner Zuständigkeit. Im Geheimen bediente man sich seiner Kenntnisse der menschlichen Anatomie auch bei schweren Verletzungen oder Knochenbrüchen. Eine weitere Einnahmequelle bot der Verkauf von Leichenteilen: In getrockneter und pulverisierter Form spielten sie ebenso wie das Arme-Sünder-Fett eine wichtige Rolle in der Volksmedizin.

Beinschraube (Spanischer Stiefel), 17. oder 18. Jh.
Eisenplatte und gebogene Eisenspange der Beinschraube wurden um den Unterschenkel gelegt und mithilfe der seitlich angebrachten Gewindestäbe immer stärker zusammengedreht. Durch Klopfen und wiederholtes Anziehen der Schrauben ließ sich die Wirkung verstärken. Die Landgerichtsordnung Ferdinands III. führte den Spanischen Stiefel als vierten Grad der Folter an – einzusetzen bei Personen, die zu schwach zum Aufziehen waren.

Finger- und Daumenschrauben, 17. und 18. Jh.
Die einfachen Finger- oder Daumenschrauben bestanden aus zwei Eisenplatten, die an zwei, manchmal auch drei Schraubenspindeln zusammengedreht wurden - dazwischen lagen die Daumen der beiden Hände. Die Druckflächen waren oft rautenförmig eingefeilt, um den Schmerz zu verstärken. Durch Klopfen, Lockern und Wiederanziehen der Schrauben steigerte man die Wirkung. In der Landgerichtsordnung Ferdinands III. waren die Daumenschrauben der dritte Grad der Tortur.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Schandmantel mit Schandkopf, Brunn am Walde, 18. Jh. (?)
Die verurteilte Person saß im Schandmantel am Pranger oder musste diesen durch den Ort tragen. Manche erhaltene Exemplare weisen reiche Bemalungen auf. Sie erzählen von den Verbrechen, für die jemand den Schandmantel tragen musste. Es waren dies etwa kleine Diebstähle, Schlägereien, Spielsucht, Trunksucht, Müßiggang oder Fluchen. Die jeweils zutreffende Szene wurde dem Publikum zugewandt. So ersparte man sich die Schandtafeln.

 Schloss Pöggstall, September 2023

JEDEM BERUF SEINE STRAFE
Verstöße in Gewerbe und Handwerk ahndete die Obrigkeit mit großer Strenge. Schuldigen drohten Geldstrafen, eine Beschlagnahme der mangelhaften Ware, der Entzug des Gewerberechts, Schandstrafen oder Stadtverweis. Für gewisse Berufsgruppen gab es eigene Strafen. Bäcker, die zu kleine Brote gebacken hatten, wurden ab dem Mittelalter mancherorts mit dem „Bäckerschupfen" belegt. In Wien fand die Prozedur zunächst am Graben und am Neuen Markt statt, wo die Verkaufsstände der Bäcker standen. Später verlegte man sie in die Roßau, an einen Nebenarm der damals noch nicht regulierten Donau. Zum letzten Mal wurde dort 1773 ein Bäcker „geschupft". Kaiser Joseph II. schaffte diese Art der Bestrafung ab.

Stuhl einer Bäckerwippe, Hainburg, 18. Jh. (?)
Die Konstruktion der Bäckerwippen erinnert an den Hebel eines Brunnens: Dafür wurde ein Pfahl in den Boden geschlagen und daran ein beweglicher Arm angebracht. An einem Ende hing ein Korb, ein Käfig oder ein Stuhl, am anderen ein Stein, dessen Gewicht in etwa dem eines Menschen entsprach. Mithilfe der Wippe wurde der Beschuldigte zum Gaudium der Zuseher in Jauche, Kot oder einen Fluss getaucht. Die Strafe lässt sich in unterschiedlicher Ausformung in nahezu allen Ländern Europas nachweisen.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Schandmasken wurden aus Eisenblech in den unterschiedlichsten Formen gefertigt. Inschriften auf der Schandmaske nahmen auf die Tat Bezug. Schweinsrüssel, Pfeife oder Glöckchen symbolisierten das Delikt des Trägers und verstärkten den herabwürdigenden Charakter der Strafe. Die bestrafte Person hatte die Maske, die Teile des Gesichts mehr oder minder stark umschloss, in der Öffentlichkeit am Pranger oder - strafmildernd - zu Hause zu tragen.

Schandmaske mit Pfeiferl, Engelberg, Schlesien, 18. Jh.
Schandmaske in Form einer Teufelsfratze, Oberösterreich, um 1700
Schandmaske mit langem Rüssel, Niederösterreich, um 1700
Schandmaske mit Glöckchen, Stift Zwettl, 1755
Schandmaske in Form einer Teufelsfratze mit Pfeiferl, Schloss Plauder, Mähren, 18. Jh.
Schandmaske, vermutlich Bayern, 18. Jh.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Ehe 1787 das Josephinische Strafgesetz in Kraft trat, spielten Freiheitsstrafen eine geringe Rolle. Die von Behörden der niederen Gerichtsbarkeit verhängte Haft war nur von kurzer Dauer. Man leistete sie als Hausarrest oder im Gemeindekotter ab. Darüber hinaus wurden in Gefängnissen Beschuldigte während der Untersuchung und zum Tode Verurteilte verwahrt sowie Landstreicher oder sonstige Angehörige von Randgruppen vor ihrer Abschiebung festgesetzt. Als im Lauf des 18. Jahrhunderts Zahl und Dauer der Haftstrafen stiegen, stand man vor einem Problem: Es brauchte Gefängnisse. Doch dafür fehlte das Geld, und so behalf man sich zunächst mit den vorhandenen Zucht- und Arbeitshäusern - eine auf Dauer wenig zufriedenstellende Lösung. Das Strafgesetz von 1803 schuf den Kerker als neuen Anstaltstypus. Er sollte nur mehr verurteilte Verbrecher beherbergen.

Doppelschandfiedel, Mühlviertel, 18. Jh.
Mit dem Tragen dieses Instruments wurden zwei Personen bestraft, die miteinander in Streit geraten waren meist Frauen. In die Doppelschandfiedel eingespannt, standen sie einander gegenüber und mussten sich während der Strafdauer ständig in die Augen schauen. Ob das der verlangten Versöhnung förderlich war, sei dahingestellt...

Schandfiedel, Niederösterreich (?), 18. Jh. (?)
Das Tragen der Schandfiedel war eine typische Frauenstrafe, die in den niederösterreichischen Weistümern erstmals 1579 für Drosendorf belegt ist. Hals und Hände wurden eingespannt, ehe die Verurteilte einige Stunden am Pranger ausgestellt oder vom Gerichtsdiener durch den Ort geführt wurde.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Bagsteine, Niederösterreich (?), 17./18. Jh.
Geringfügige Vergehen ahndete die niedere Gerichtsbarkeit auch mit dem Tragen des Bagsteins. Diese Ehrenstrafe traf vorwiegend Frauen, die über andere lästerten. Die Verurteilte musste den schweren Bagstein, der sonst meist am Pranger hing, durch den Ort tragen. In manchen Weistümern wurde sogar der Weg dafür genau festgelegt. Er verlief beispielsweise vom Pranger zum Haus der Bestraften.

 Schloss Pöggstall, September 2023

EHRENSTRAFEN
Bis in die Neuzeit hatte die Ehre hohen Stellenwert in der Gesellschaft. Ihr Verlust wog schwer. Dem System der Ehrenstrafen kam daher eine umso wichtigere Rolle zu: Sie wirkten ehrmindernd und sollten so disziplinieren. Mit Ehrenstrafen geahndet wurden Raufhändel, Trunkenheitsexzesse, Ehrenbeleidigungen oder Sittlichkeitsdelikte. Männer verbüßten die Ehrenstrafe zumeist angekettet und mit einer Schandtafel versehen am Pranger, der - als Plattform, Säule oder Holzpfosten - an einem prominenten Platz im Ort stand. Mancherorts gab es dafür auch das Schandeck an einem öffentlichen Gebäude. Straffällige Frauen hingegen mussten mit dem Bagstein oder der Schandfiedel auf einem festgelegten Weg durch den Ort gehen. Erst mit der Strafrechtsreform von 1848 verschwanden Pranger und Ehrenstrafen aus dem Gesetzbuch und damit aus dem Alltag der Menschen.

Schandmaske mit Federaufsatz, Niederösterreich (?), 17. Jh. (?)
Schandmaske mit kurzem Pfeiferl, Grafenegg, 17. Jh.
Schandmaske in Gitterform, Niederösterreich (?), 18. Jh. (?)
Schandmaske in Form eines Pappenheimer Helms, Niederösterreich (?), 17. Jh.

 Schloss Pöggstall, September 2023

VERBRECHEN UND STRAFE
Die Strafe hatte vorrangig zwei Funktionen: Sie diente der Abschreckung und sollte das verletzte Rechtsempfinden vergelten. Bis zum 10./11. Jahrhundert bestanden Strafen vielfach in Geldleistungen. Ihre Höhe richtete sich nach der Schwere der Tat und der Stellung des Opfers. Fehlten dem Täter die Mittel, trat an die Stelle der Geldleistungen eine Strafe an Leib und Leben oder der Verlust des Status als Freier. Zunehmend verlor die Geldstrafe jedoch an Bedeutung. Nun kamen Strafen zur Anwendung, die heute noch schockieren: Erhängen, Enthaupten, Rädern, Verbrennen, Ertränken, Einmauern, Pfählen etc. Allerdings schöpften die Richter das Strafausmaß häufig nicht aus: Gnade galt als Stärke, nicht als Schwäche des Richters. Die Zahl der Hinrichtungen nahm im Lauf der Frühen Neuzeit ab. Die Schaffung des „Rechtsstaats" im 18. Jahrhundert zielte auf Einheitlichkeit in der Straffestsetzung ab. Die Josephinische Gesetzgebung nahm den Richtern freilich das Gnadenmittel: Fortan mussten sie Strafen laut Gesetzbuch festsetzen. Die Todesstrafe wurde abgeschafft, doch an ihre Stelle trat schwerste körperliche Arbeit: In Bergwerken, auf Galeeren oder als Schiffszieher an der Donau fanden die Delinquenten einen frühen Tod.

Die „Folterkammer"
Im ersten Obergeschoß des Bergfrieds liegt die sogenannte Folterkammer, in die früher einzig ein Hocheinstieg führte. Die erhaltenen Schlossinventare geben indes keinerlei Hinweise auf eine Folterkammer. Erst 1882 taucht in den Pöggstaller Quellen die Bezeichnung „Marterturm" für den Bergfried auf. Der Historiker Andreas Zajic nimmt an, dass die „Folterkammer" im Zusammenhang mit den Aktivitäten Kaiser Franz' II./I. stand: Ganz im Sinne des romantischen Burgenbaus ließ er ja eine solche auch in der Laxenburger Franzensburg einrichten. Gesichert ist hingegen, dass das Landgericht Pöggstall seit 1521, vielleicht auch schon früher, die hohe Gerichtsbarkeit innehatte. Daran knüpfte sich zumindest seit der „Carolina" (1532) die Verpflichtung, im Gerichtsverfahren die „peinliche Frage" - also die Folter anzuwenden. Welcher Raum in Schloss Pöggstall dafür bestimmt war, ist noch unklar.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Gerichtszeichen in Form eines Doppeladlers, Mannersdorf, 16. Jh. (?)
Alle mit Recht, Rechtsprechung und Vollzug verbundenen Handlungen, Gerätschaften und Gebäude waren in der Vergangenheit von Symbolik bestimmt. Zeichen markierten die Orte, an denen Recht verkündet und gesprochen wurde.

Gerichtsschild, Grenzgebiet zu Mähren, Mitte 17. Jh.

Rolandfigur, Kopie, Original: St. Aegyd am Neuwalde, 16./17. Jh.
Den Pranger in St. Aegyd am Neuwalde 1886 zerstört und 1955 als Rekonstruktion am Weg zur Kirche wieder aufgerichtet - krönt eine Rolandfigur, die allerdings nur als Blechschnitt ausgeführt ist. Benannt wurden diese Figuren nach dem sagenhaften Paladin Karls des Großen. Ob die niederösterreichischen Rolande mit jenen in Norddeutschland in Zusammenhang stehen, ist noch ungeklärt. Dort dienten sie, freilich in monumentaler Form, als Zeichen der Hochgerichtsbarkeit, des Markt- und Stadtrechtes oder anderer Privilegien.

 Schloss Pöggstall, September 2023

VOM WORT ZUR SCHRIFT
Recht wurde zunächst ausschließlich gesprochen - im wahrsten Sinne des Wortes. Um die Rechtsprechung und den Verlauf der Verfahren zu vereinheitlichen, begann man schließlich damit, das mündlich weitergegebene Recht in Rechtsbüchern aufzuzeichnen. Das erste Rechtsbuch in deutscher Sprache war der „Sachsenspiegel" (1220-1235). Das „gesetzte" Recht konnten unterschiedliche Personen oder Gruppen erlassen: Kaiser wie Fürsten, Kirche wie Grundherrschaft, Städte wie autonome Verbände. Handelte es sich bei den frühen Rechtsbüchern noch um private Aufzeichnungen, änderte sich das mit dem Ende des Mittelalters: In „Landgerichtsordnungen" oder „Halsgerichtsordnungen" wurden Straf- und Prozessrecht niedergeschrieben. Das 18. Jahrhundert brachte schließlich länderübergreifende Ordnungen - und damit eine Vereinheitlichung des Rechts.

„Bambergische Peinliche Halsgerichtsordnung"
Buchdruck, Bamberg, revidierte Fassung von 1580
Verfasser des 1507 erstmals im Druck erschienenen Rechtsbuches war der Bamberger Hofrichter Johann von Schwarzenberg. An die Stelle der bis dahin üblichen Privatklage trat nun die amtliche Untersuchung und Strafverfolgung. Mit der Übernahme dieses Inquisitionsprinzips wurde das Geständnis zum zentralen Beweismittel. Deshalb sah die Halsgerichtsordnung auch die „peinliche" - die Pein verursachende - Befragung als Mittel der Wahrheitsfindung vor. Allerdings war die Anwendung der Tortur an strenge Voraussetzungen gebunden.

 Schloss Pöggstall, September 2023

IM NAMEN DES GESETZES
Zu Beginn des Mittelalters hatte im heutigen Österreich eine Vielzahl von Rechtsordnungen Gültigkeit. Einen Staat in unserem Sinn und rechtsprechende Instanzen gab es noch nicht. Das einzige Mittel, seine Ansprüche durchzusetzen, war die Selbsthilfe. Um Unruhen zu verhindern, bildete sich ein geregeltes Verfahren für die Verfolgung von Rechtsverletzungen aus. Noch galt der Grundsatz „Wo kein Kläger, da kein Richter": Erst wenn man privat Anklage erhob, wurde die Rechtsprechung aktiv. Im 13. Jahrhundert entwickelte sich im kirchlichen Bereich der Inquisitionsprozess zur Bekämpfung der Ketzer. Diesen übernahm nun die weltliche Rechtsprechung: Ein Vertreter der Obrigkeit erhob Anklage, ermittelte und verhaftete den Verdächtigen. Ziel war es, die „Wahrheit" zu ermitteln, und das möglichst durch ein Geständnis. Dafür kam die aus dem römischen Recht übernommene Folter zum Einsatz. Das Verfahren - nun nicht mehr öffentlich - führten lokale Instanzen durch, die Entscheidung lag bei einer Juristenfakultät oder einem Obergericht. Auf einem „endlichen Rechtstag" erfolgte die öffentliche Vollstreckung des Urteils. Weiterhin zeichnete sich die Gerichtslandschaft durch eine bunte Vielfalt aus. Erst im aufgeklärten Absolutismus machte man sich an die Schaffung eines einheitlichen Straf- und Zivilrechtes.

RICHTER UND URTEILER
Bis 1848 war die Gerichtslandschaft zersplittert. Die Gerichtsbarkeit oblag Landgerichten, Stadt- und Grundgerichten sowie für bestimmte Berufe und Stände eingerichteten Sondergerichten. Ein Kriterium für die Zuständigkeit war die Schwere des Deliktes. Die hohe Gerichtsbarkeit - der „Blutbann" kam zunächst allein dem Landesherrn zu. Durch Privilegien wurde sie auch Städten oder Märkten zuerkannt und mit der Formel „Pranger, Stock und Galgen" in Stadt- und Marktrechten verankert. Grundherren übten die niedere Gerichtsbarkeit aus. Um geringfügige Übertretungen und Zivilstreitsachen im Dorf kümmerte sich die Dorfobrigkeit. Im 17. Jahrhundert gab es in Niederösterreich 403 Landgerichte, noch 1848 waren es um die 200. Nach der Revolution von 1848 lag die Gerichtsbarkeit nur mehr in den Händen des Staates.

Schwurkreuz der Herrschaft Paasdorf, 18. Jh.
Schwurkreuze gehörten einst zum Inventar von Gerichtsstuben. Noch heute stehen sie bisweilen auf den Richtertischen. Und noch heute schwören Zeugen „bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden" und sollen den Eid, so sie der christlichen Religion angehören, „vor einem Crucifixe und zwei brennenden Kerzen" ablegen. Die Herrschaft Paasdorf - heute zu Mistelbach gehörig - umfasste das gleichnamige Dorf sowie die Orte Schrick und Gaunersdorf.

Zeremonialschwert eines Stadtrichters, Toledaner Klinge, Mitte 16. Jh.
Gerichtsschwerter waren Hoheitszeichen für die richterliche Gewalt. Sie standen allerdings alleine Gerichten zu, die die Blutgerichtsbarkeit innehatten, also Todesurteile fällen durften. Man verwendete sie bei gerichtlichen Handlungen oder bei Zeremonien - etwa wenn ein neuer Richter eingesetzt wurde. Die prunkvolle Ausgestaltung zeugt davon, dass das Schwert dem jeweiligen Auftraggeber auch zur Repräsentation diente: Seht her, wer ich bin!

 Schloss Pöggstall, September 2023

ORTE DER RECHTSPRECHUNG
Nach altem germanischen Recht hielt man die „Thing" oder „Taiding" genannte Gerichtsversammlung unter freiem Himmel an ehrwürdigen Plätzen ab. Alte Bäume - die „Gerichtslinden" -, große Steine oder Gewässer wurden eigens dafür eingehegt. Bereits Karl der Große erlaubte im 8. Jahrhundert, bei schlechtem Wetter in die Vorhallen von Kirchen oder andere Hallen zu übersiedeln. Während die Dorfgerichte weiterhin unter freiem Himmel tagten, entstanden in anderen Bereichen eigene Räumlichkeiten. Grundherren richteten Gerichtsstuben in Burgen, Schlössern und Klöstern ein. Städte bauten Gerichtslauben oder statteten die Rathäuser mit Gerichtssälen aus. Als Einrichtung dienten Tische und Bänke. In der Gestaltung der Wände, dem Deckenschmuck, der Fensterdekoration, in Gemälden und Statuen wurden Rechtssymbole und -allegorien aufgegriffen.

Freiung, Umgebung von Aspang, 17. Jh.
Aus der Verbindung der uralten Hoheitssymbole Hand und Schwert entstanden speziell in Österreich die Schwerthände bzw. -arme. Zunächst war die Freiung ein Zeichen für die Blutgerichtsbarkeit. Erst später markierte sie einen privilegierten Jahrmarkt, an den Vorrechte geknüpft waren: etwa erweiterter Rechtsfrieden, erhöhter strafrechtlicher Schutz oder wirtschaftliche Privilegien. Vor Beginn des Marktes wurde die Freiung bei einer feierlichen Zeremonie ausgesteckt.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Schandblock für drei Verurteilte
Kopie, Original: Neunkirchen, 1698 (Stadtmuseum Neunkirchen)
Dieser Schandblock ist ein Unikum. Er erinnert an die ähnlich aufwändig bemalte „Wiege der Alten" des Marchtrenker Richters Kötzinger, die auf 1702 datiert wird. Dargestellt ist ein Ehepaar an einem Tisch mit Spielkarten, Würfeln und Weinglas. Das lässt vermuten, dass mit Einspannen in diesen Block Männer bestraft wurden, die ihr Vermögen im Wirtshaus bei Spiel und Trank verschleuderten.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Pranger mit Bagstein und zwei Handfesseln, Rekonstruktion, 1988
Der Pranger stand stets auf einem Platz im Zentrum des Ortes. Er war mit Zeichen der Strafgerichtsbarkeit wie Bagsteinen, Hals- und Handfesseln ebenso versehen wie mit jenen der „Markgerechtigkeit", etwa der Freiung, dem Marktschwert. Ursprünglich bestanden die Pranger meist aus Holz. Von den später aus Stein errichteten Prangersäulen hat sich eine große Zahl vor allem im Waldviertel erhalten. Eine Besonderheit stellt deren Bekrönung mit Ritterfiguren dar, „Prangermandl", „Prangerhansl" oder „Roland" genannt. Ob diese Figuren in Zusammenhang mit dem norddeutschen Stadtrechts-Roland stehen, ist bislang ungeklärt. Die erhaltenen Prangersäulen stammen vor allem aus der Renaissance- und der Barockzeit. Noch gotische Elemente weist die 8,3 Meter hohe Prangersäule in Drosendorf auf. Auch in den Weistümern finden sich immer wieder Hinweise auf Prangersäulen, meist in Zusammenhang mit verhängten Strafen.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Seit jeher rufen Schauergeschichten wohliges Gruseln hervor. Die Erfindung des Buchdrucks machte es möglich, günstig hergestellte Flugblätter mit kurzen, meist illustrierten Texten unter die Leute zu bringen. Sie handelten von unerhörten Geschehnissen aus aller Welt. Bereits 1516 berichtete der Nürnberger Meistersinger Kunz Has von einer Gräueltat: In Wien hatte ein Knecht seinen Meister und dessen Familie ermordet. Im 18. Jahrhundert verkauften in Wiens Straßen sogenannte Urteil- oder Liederweiber Druckschriften, die unter anderem Verbrechen, „Urthel" (Urteil) und Bestrafung behandelten. Das lag durchaus im Interesse der Behörden: Das Volk sollte von ihrer erfolgreichen Arbeit erfahren. Bei Hinrichtungen wurden die Urteile gedruckt verteilt. Das diente der Warnung und Abschreckung, man wollte aber auch ein Gefühl von Sicherheit vermitteln.

Porträt des Johann Georg Grasl, Lithografie, Wien, 1816
Als am 31. Jänner 1818 vor dem Neutor in Wien Johann Georg Grasl und seine Komplizen Johann Fühding sowie Ignaz Stangl hingerichtet wurden, endete eine kriminelle Laufbahn, die fast zehn Jahre lang die Justiz auf Trab gehalten hatte. Als Sohn eines Abdeckers gehörte Grasl zum Kreis der Ausgegrenzten. Damit blieb ihm auch ein „normaler" Beruf verwehrt. Mit Diebstahl, Raub und Raubmord verbreiteten Grasl und seine Bande im Waldviertel und in den angrenzenden Gebieten Böhmens und Mährens Schrecken. Erst ein Kopfgeld in der Höhe von 4.000 Gulden brachte ihn zur Strecke.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Der mächtige Bergfried entstand in der ersten Bauphase der Burg. Obwohl in der Niederung errichtet, machten ihn seine markante Höhe und der sorgfältig gestaltete Zinnenkranz weithin sichtbar. Nicht zuletzt drückten seine Erbauer damit ihre Herrschaftsansprüche aus. Schlüssige Hinweise auf die Entstehungszeit der ersten kleinen Burg geben historische Quellen und eine naturwissenschaftliche Untersuchung des verbauten Holzes: Demnach wurde es in den 1250er-Jahren gefällt. Eine hohe Mantelmauer umschloss ein bescheidenes Wohngebäude im Westen. Der Wirtschaftsbereich mit Holzbauten lag südlich der Burg. Diese bewohnten die Inhaber nicht selbst: Sie residierten zunächst noch anderswo in Niederösterreich.

Ein Turm war im Mittelalter ein Zeichen von Macht. Der Besitzer hat damit gezeigt: Dieses Land gehört einem mächtigen Herrscher. Der Turm von Burg Pöggstall war sehr hoch, und er war auch besonders schön gebaut. Der Turm war mit Zinnen verziert. Aus den Holz-Teilen in einem Gebäude kann man das Alter bestimmen.

Die Forscher haben herausgefunden: Die Bäume für den Pöggstaller Turm sind im Jahr 1256 gefällt worden. In dieser Zeit hat man wahrscheinlich mit dem Bau der Burg begonnen. Dieses Datum passt auch zu den Urkunden aus dieser Zeit. Die Erbauer der Burg haben damals nicht selbst in Pöggstall gelebt. Sie haben in anderen Burgen in Niederösterreich gewohnt. In der Burg in Pöggstall hat es daher nur ein bescheidenes Wohn-Gebäude für das Personal gegeben. Das Wohn-Gebäude war an eine Außen-Mauer angebaut. Diese Mauer hat die Burg wie ein Mantel geschützt. Darum heißen solche Mauern Mantel-Mauern. Im Süden vor der Mauer waren die Wirtschafts-Gebäude. Die Wirtschafts-Gebäude waren aus Holz gebaut.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Ab 1478 kam es zu einer umfassenden Neugestaltung des Herrschaftssitzes in mehreren Bauphasen. Sie sind der Spätgotik und Renaissance zuzurechnen. Zunächst wurde das Verteidigungssystem umgestellt: Man legte riesige Erdwerke an den Hangseiten an und erschloss sie durch einen Portalturm an der Westseite der Burg. Auch ein zusätzlicher Zwinger wurde errichtet. Zeitgleich erfolgte eine Erhöhung der beiden bestehenden Türme. Ein Wohnbau an der Ost- und der Nordseite veränderte die Kernburg. Im südlichen Teil des Areals entstand ein neuer Osttrakt, während der Westtrakt durch repräsentative Innenräume wie eine gewölbte Halle aufgewertet wurde. Eine große freistehende Kapelle an der Ostseite - die heutige Pfarrkirche - ergänzte die Residenz ebenso wie ein Meierhof. Zuletzt wurde der große Schlosshof durch einen Arkadengang neu erschlossen. In die 1540er fällt die Fertigstellung des im Süden vorgelagerten großen Rondells (Barbakane). Außerdem wurde der Arkadenhof mit hochwertigen Renaissancefresken ausgestattet.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Seit 1986 ist die Marktgemeinde Pöggstall Besitzerin des Schlosses. Mit dem Zuschlag zur Niederösterreichischen Landesausstellung 2017 ließ sich auch die längst notwendige Sanierung des Kulturjuwels in Angriff nehmen. In enger Zusammenarbeit von Land Niederösterreich, Gemeinde, Bundesdenkmalamt und dem Architekturbüro W30 wurden Schloss und Kanonenrondell behutsam restauriert und die Außenbereiche neu gestaltet. Was lange Zeit einen Fremdkörper im Ort darstellte, steht nun im Mittelpunkt der Gemeinde und ihrer Bewohner. Ab 2018 sorgt das Schloss als kulturelles und kommunales Zentrum mit Gemeindeamt, Veranstaltungs- und Ausstellungsräumen, Gastronomie und Shop dafür, dass seine historischen Mauern auch künftig mit Leben erfüllt sind.

Bei der jüngsten Restaurierung wurde die Schlossanlage behutsam instandgesetzt. Wo Neues notwendig war, bieten Stahl, Beton und Holz einen reizvollen Kontrast zum Altbestand. So etwa im neuen Stiegenhausblock, dessen Kern eine renaissancezeitliche Wendeltreppe bildet - eine überraschende Entdeckung. Und nicht die einzige: So legte man unter anderem einen Saal mit spätgotischem Netzrippengewölbe frei. Offenkundig wird die Neubelebung schon bei der Ankunft: Diente das große Rondell einst der Abwehr, so laden die heute offen stehenden Tore der einst durch Zugbrücken gesicherten Portale zum Besuch ein.

 Schloss Pöggstall, September 2023

Rechtliche Aufarbeitung der NS-Zeit - chronologisch auf Tafeln im Schloss Pöggstall

Drittes Rückstellungsgesetz, 6. Februar 1947
Zwischen 1946 und 1949 werden sieben Rückstellungsgesetze erlassen. Das dritte bezieht sich erstmals auf Vermögen in privatem Besitz. Rückerstattet wird jedoch nur, was tatsächlich noch vorhanden ist. Für aufgelösten Besitz oder solchen, der nicht eindeutig zuordenbar ist, wird man bis in die 1960er-Jahre nicht entschädigt. Bis dahin beschränkt sich die Erbfolge auch auf die engsten Familienmitglieder. Beträchtliche Vermögen bleiben so unberührt.

Opferfürsorgegesetz, 4. Juli 1947
Bedürftige Menschen, die nachweisen können, in der NS-Zeit Widerstand geleistet zu haben, sollen finanziell unterstützt werden. Voraussetzung dafür ist zunächst die österreichische Staatsbürgerschaft. Jene, die man aus rassistischen oder religiösen Gründen verfolgte, sind im ursprünglichen Gesetz nicht berücksichtigt. Später werden sie als „passive" Opfer geführt und schlechtergestellt. Bis heute ist diese Unterscheidung der NS-Opfer im Gesetzestext erhalten geblieben - nach über 70 Novellen.

Zum Umgang mit erblosem jüdischen Vermögen, 9. November 1948
„Ich sehe überall nur jüdische Ausbreitung [...] Auch den Nazis ist im Jahre 1945 alles weggenommen worden [...] Ich wäre dafür, dass man die Sache in die Länge zieht [...]."
Innenminister Oskar Helmer in der 132. Ministerratssitzung

Kriegsopferversorgungsgesetz, 14. Juli 1949
§ 1. (1) Wer für die Republik Österreich, die vormalige österreichisch-ungarische Monarchie oder deren Verbündete oder nach dem 13. März 1938 als Soldat der ehemaligen deutschen Wehrmacht militärische Dienste geleistet und hiedurch eine Gesundheitsschädigung (Dienstbeschädigung) erlitten hat, ist versorgungsberechtigt. Hat das schädigende Ereignis den Tod verursacht, sind die Hinterbliebenen versorgungsberechtigt."

Gesetz über die Aufhebung der Volksgerichte, 20. Dezember 1955
Die Tätigkeit der Volksgerichte wird mit Inkrafttreten dieses Gesetzes beendet. Für Verfahren nach dem NS-Verbotsgesetz und dem Kriegsverbrechergesetz (beide aus dem Jahr 1945) werden ab sofort ordentliche Gerichte zuständig. Meist sitzen nun Geschworene über die NS-Verbrecher zu Gericht. Sie sprechen mutmaßliche Täter mehrheitlich frei, oft trotz belastender Beweise.

NS-Amnestiegesetz, 14. März 1957
„Unmittelbar nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags war Österreich endlich frei, das zu tun, was man schon immer wollte: Der Nationalrat verabschiedete ein Gesetz, das eine Amnestie für den Großteil der von den Volksgerichten verurteilten NS-Verbrecher brachte, denen auch noch die Bezüge nachbezahlt wurden und deren Haftzeit als Dienstzeit angerechnet wurde. Ebenso wurde die Dienstzeit von SS-Männern voll für den Pensionsanspruch gewertet."
Walter Manoschek, Politikwissenschaftler, 1995

Gesetz zur Abgeltung von Vermögensverlusten, 22. März 1961
Erstmals entschädigt man jüdische Opfer für finanzielle Verluste. Darunter fallen auch Steuern, die ihnen während der NS-Zeit aufgezwungen wurden. Die politisch Verfolgten sind bereit zuzustimmen – vorausgesetzt, man behandelt ihre Opferschaft ab sofort großzügiger. Erst als Deutschland finanzielle Unterstützung - auch für die Integration der 1945 vertriebenen „Volksdeutschen" - zusagt, wird das Gesetz erlassen.

Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetz, 27. Juni 1969
Im Staatsvertrag von 1955 verpflichtet sich Österreich, mit dem Erlös aus nicht rückerstatteten Vermögenswerten künftig NS-Opfer zu unterstützen. 1969 werden auf Druck von Simon Wiesenthal 8.400 solcher Objekte - sie lagern zu diesem Zeitpunkt in der Kartause Mauerbach - auf einer Liste einsehbar, darunter etwa 2.000 Kunstgegenstände. 269 davon werden rückgestellt. Der Rest kommt gegen eine Abschlagszahlung von fünf Millionen Schilling in den Besitz der Republik Österreich.

Zweites Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetz, 13. Dezember 1985
1984 erscheint in der Kunstzeitschrift „Art news" ein Beitrag über Österreichs Umgang mit „arisierten" und herrenlosen Gütern. „A Legacy of Shame" - „Ein Vermächtnis der Schande" betitelt ihn der Autor Andrew Decker. Öffentlicher Druck führt dazu, dass im Jahr darauf ein zweites Kunstbereinigungsgesetz verabschiedet und erneut eine Liste veröffentlich wird. 3.300 Anträge auf Rückstellung werden eingebracht, 22 Werke ausgefolgt.

Nationalfondsgesetz, 30. Juni 1995
Basierend auf einer Idee von Albert Sternfeld soll der Nationalfonds Österreichs „besondere Verantwortung gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus zum Ausdruck bringen". Erstmals werden dazu auch jene gezählt, die wegen ihrer sexuellen Orientierung, als „Asoziale" oder aufgrund einer Behinderung verfolgt wurden. Als Geste zahlt man bislang an 28.000 antragstellende Personen je 5.000 Euro aus.

Mauerbach-Auktion, 29. und 30. Oktober 1996
In Wien werden die restlichen Kunstobjekte versteigert, die noch in Mauerbach lagern. Mit der Versicherung, sie seien „erblos", hat die Republik sie zuvor der Israelitischen Kultusgemeinde überantwortet. Der Erlös von 120 Millionen Schilling kommt auftragsgemäß Opfern des NS-Regimes zugute. Im Zuge der Versteigerung entdeckt die Kunsthistorikerin Sophie Lillie Etiketten, Stempel und Siegel auf den Rückseiten der Gemälde. In den Folgejahren wird sie Dutzende rechtmäßige Besitzer nachweisen können.

Kunstrückgabegesetz, 4. Dezember 1998
Im Jänner 1998 werden in New York zwei Schiele-Bilder beschlagnahmt. Es handle sich um Raubkunst, so der Verdacht. Kurz darauf erteilt die zuständige Ministerin die Weisung, Archive und Sammlungen der Republik zu überprüfen. Mit dem in der Folge beschlossenen Gesetz wird die Herkunft von Kunstwerken zum ersten Mal systematisch untersucht. Bis heute unterliegen Privatsammlungen nicht dem Gesetz, es existiert kein Rechtsanspruch, und die Betroffenen haben im Verfahren keine Parteienstellung.

Versöhnungsfondsgesetz, 8. August 2000
Im April 2000 reicht US-Opferanwalt Ed Fagan eine Sammelklage gegen die Republik Österreich und gegen heimische Unternehmen in der Gesamthöhe von etwa 260 Milliarden Schilling ein. Daraufhin wird ein mit sechs Milliarden Schilling dotierter Fonds errichtet, der diese Ansprüche beantworten soll. Entschädigt werden ehemalige Zwangsarbeiter, die vor allem aus Osteuropa stammen. Deren Erben erhalten nur dann Geld, wenn ihr Angehöriger frühestens am 15. Februar 2000 verstorben ist.

Washingtoner Abkommen, 17. Jänner 2001
Die Zahlungen aus dem Versöhnungsfonds fließen erst, nachdem alle mit Zwangsarbeit zusammenhängenden Klagen abgewiesen sind. Außerdem wird ein mit 210 Millionen Dollar ausgestatteter „Allgemeiner Entschädigungsfonds" vereinbart. Erstmals sind davon zerschlagene jüdische Kleinbetriebe und „arisierte" Mietwohnungen erfasst. Auch hier wird die letzte offene Klage abgewartet, ehe es ab dem Jahr 2005 zu Auszahlungen kommt.

Anerkennungsgesetz, 10. August 2005
Mit dem Anerkennungsgesetz werden die Sprüche der NS-Militärjustiz endgültig für nichtig erklärt. Zwar ist damit die Gruppe der Wehrmachtsdeserteure angesprochen, allerdings nur indirekt. Geklärt sind vor allem die sozialrechtlichen Aspekte: Deserteure werden erstmals in das Opferfürsorgegesetz aufgenommen ebenso wie Menschen, die in der NS-Zeit zwangsweise unfruchtbar gemacht wurden.

Aufhebungs- und Rehabilitationsgesetz, 17. November 2009
Anders als das Anerkennungsgesetz von 2005 erklärt das neue Gesetz nun klar alle Urteile aus der NS-Zeit für nichtig, die Deserteure und zwangsweise sterilisierte Menschen betreffen. Die Prüfung des einzelnen Falls ist dafür nicht mehr nötig. Opfer und Opferangehörige können seitdem ihre Anträge auf Aufhebung der Urteile beim Straflandesgericht Wien einbringen.

Und heute 2017?
Wie zieht man nach 70 Jahren zäher Anerkennung und bescheidener Zahlungen Bilanz? Noch immer werden NS-Opfer rechtlich ausgeblendet - so wie die KZ-Häftlinge, die oft geehrt, aber von der Republik nie entschädigt wurden. Forschungen zu den Insassen von NS-Gefängnissen sind bislang nicht erfolgt. Und der Anteil von Sklaven- und Zwangsarbeit am industriellen Grundstock der Zweiten Republik wurde nie adäquat bemessen. Die Ausforschung von Tätern bleibt bis heute mangelhaft.

 Schloss Pöggstall, September 2023



Wem der viele Text zu lange war und lieber Bewegtbilder mit Musik mag, kann sich gerne dieses Video antun: